Der nächste Tag begann (für uns) ausgeschlafen, für den Rest unserer Truppe mit dem Ankommen am Flughafen, dem Schlangestehen für das Visa und der rumpligen Fahrt ins Hotel. Dementsprechend dezent angeschlagen wirkte das Grüppchen, das wir am Frühstückstisch begrüßen durften. Und trotz Müdigkeit und einem (vermutlich) hohen Stresspegels waren alle nett und es wurden die ersten zaghaften Konversationsversuche gestartet. Da erfuhren wir auch, dass bei zweien unseres Teams das Gepäck fehlte – verschollen, irgendwo zwischen Istanbul und Sansibar.
Wow, das war mal eine echte Schockernachricht. Vor allem, weil wir in wenigen Stunden losmachen mussten, um unseren Zeitplan einzuhalten. Auf die Frage hin, ab wann man denn mit dem verlorengegangenen Gepäck rechnen könne, erhielten wir die vage Antwort, dass es beim letzten Trek circa vier Tage gedauert hatte.
Uff. Da waren wir ja schon fast oben auf dem Gipfel.
Aber gut, immerhin war das der Aufhänger für uns, die ersten zarten Bande von Freundschaften knüpfen zu können (oder, wie es genannt wurde, building bridges) – nämlich, in dem wir unsere Ausrüstung mit den beiden armen Personen teilten. Ich selbst trennte mich für die Dauer des Treks von meinem Ersatz-T-Shirt, einem meinem Nackenkissen, meinem Schlafsack-Inlet und einer Trinkflasche. (Da ich meinen Camelbak, eine weitere Trinkflasche und eine Thermoskanne dabei hatte, hatte ich auch nicht das Gefühl, irgendetwas zu vermissen.) Chirurgenwelpe gab, in einem wirklichen Akt der Selbstaufopferung, ihre Regenhose an Zoe, die keine Wechselhose in ihrem Handgepäck dabeihatte. Merkt euch das, das wird später noch wichtig.
Während dem Frühstück konnte Max, unser leader, schon einmal anfangen, die culture of honesty einzuführen, die unseren Trek bestimmen sollte. Soll heißen, dass wir einfach brutal ehrlich waren – im Team, aber auch zu uns selbst. Vor allem, was mögliche Symptome der Höhenkrankheit anging. Und so etablierten wir auch das Konzept des health buddys – in unserem Fall unser Zeltkamerad, der uns immer mal wieder löchern sollte, wie es uns denn ginge.
Wir diskutierten auch die Frage, wann es denn nun eigentlich losgehen sollte, denn die armen heute erst Zugereisten wollten sich noch ein wenig Zeit einräumen, um ein Nickerchen zu machen. Leider war dafür praktisch keine Zeit, denn es war noch einiges zu erledigen. Es musste umgepackt werden, dann mussten unsere duffle bags gewogen werden (ihr erinnert euch an die magische 12-kg-Grenze?), dann würden wir noch unsere Guides kennenlernen und dann wartete noch eine rund dreistündige Fahrt zum Gate auf uns.
Also machten wir uns alle an die Arbeit. Wir gingen nochmals unseren Tagesrucksack durch (hatten wir alles? – Regenhose, Regenjacke, Trinkflasche, etc.), ließen unseren Koffer an der Rezeption zurück und kauften noch jeweils drei Liter Wasser (für je 1 USD) an der Bar, um unsere Vorräte aufzufüllen. Außerdem erhielten wir noch unsere Lunchboxen, ein Ritual, das sich von nun an fast jeden Morgen wiederholen sollte. (Was auch jedes Mal ein stetiger Quell an Erheiterung war, denn so wirklich verstehen konnten die Einheimischen das Konzept „vegan“ nicht. Aber dazu in späteren Einträgen mehr.)
Und trotz der Müdigkeit, die 2/3 der Reisegruppe betraf, lag eine freudige Erwartung in der Luft. Endlich – endlich! – sollte es losgehen! Die nächste gute Nachricht war, dass (fast) alle unter der Limite für die Taschen waren, weswegen ohne Verzögerung aufgeladen werden konnte. Wir wurden schließlich in zwei Minibusse geladen (wieder ohne Sicherheitsgurt, Klimaanlage oder nennenswerten Komfort, aber immerhin fuhren sie) und los ging die Fahrt.
Die dreistündige Fahrt war laut, heiß, sehr holprig und sehr kuschlig, denn nicht nur unsere Gruppe steckte in den Fahrzeugen, sondern auch unsere fünf Guides, die immer wieder versuchten, uns auf interessante Dinge am Wegrand aufmerksam zu machen. (Ich sah zum ersten Mal einen Mini-Sand-Tornado, das war echt cool.)
Nach ungefähr der Hälfte machten wir eine Toilettenpause, auf die ich mich anfangs sehr gefreut hatte. (Das Rumpeln hatte direkte Auswirkungen auf meine Blase.) Nachdem ich die Örtlichkeiten gesehen hatte, überlegte ich jedoch ernsthaft, ob ich es nicht noch zwei Stunden aushalten konnte. Denn die „Toilette“ bestand aus einem Loch im Boden. Und sonst nichts. Der Geruch war ekelerregend (sorry, aber es war so) und der Boden klebte vor Urin. Ich glaube, ich habe noch nie im Leben so lange die Luft angehalten. Und die danach feierlich von allen geteilte Händedesinfektion war ein absolutes Muss.
Bäh.
Allerdings muss ich zur Ehrenrettung sagen, dass ich ansonsten eigentlich nur gute Toilettenerlebnisse auf der Reise hatte. Eine einzige Toilette toppte dieses Erlebnis aber noch. Aber dazu werde ich in einem späteren Eintrag (dem zum Barranco Camp) mehr erzählen. Ihr könnt es sicherlich kaum erwarten!
Will und Heather gönnten sich noch jeweils eine Flasche Stoney Tangawizi, einem stark ingwerhaltigen Erfrischungsgetränk, das in Tansania offenbar sehr beliebt ist. Ich lehnte es ab, nach dieser Toilette wollte ich meinem Magen nicht noch mehr Dinge zumuten.
Nach weiteren eineinhalb Stunden Fahrt erreichten wir unseren ersten Stopp, das Londorossi-Gate. Dort lernten wir unser restliches Team kennen – insgesamt stärkte uns ein fast 40köpfiges Team den Rücken. Es gab jede Menge Porter, Köche, Köche für das einheimische Team, Guides und sogar einen Zuständigen für unser Toilettenzelt. (Ja, ihr habt richtig gehört – wir hatten ein Toilettenzelt. Und solltet ihr auf diesem Blog gelandet sein, weil ihr den Kilimandscharo noch vor euch habt, dann lasst euch gesagt sein, dass ein Toilettenzelt die beste Investition ist. Wirklich. Holt euch ein Toilettenzelt.)
Während wir anfingen unseren Lunch zu verspeisen wurde die gesamte Ausrüstung noch einmal gewogen (mit den offiziellen Waagen des Parks) und dann wieder verstaut. Dann durften wir noch einmal die Toiletteneinrichtungen benutzen (eine gewisse Person konnte jedoch nicht, weil vor dem scheibenlosen Fenster der Toilette die Porter standen 🙂 ) und es gab ein letztes Briefing – für den gesamten Trek, aber auch insbesondere, was uns heute bevorstand. Und das klang eigentlich ganz entspannt.
Wir hatten nochmals eine ca. einstündige Fahrt vor uns, dann würden wir ca. 3 Stunden durch den Regenwald marschieren bis zum ersten Camp. Und dann gäbe es Abendessen und dann eine Mütze Schlaf. Dies wurde vom Großteil unserer Gruppe wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Wir sammelten uns noch für ein Gruppenfoto vor dem Londorossi-Gate-Schild und dann ging es auch schon wieder zurück ins Auto. Die restliche Fahrt verging wie im Flug und schon standen wir mitten im Regenwald. Die dort aufgestellten Toiletten wurden nochmals rege genutzt, die Wanderstöcke (bis jetzt müßig am Rucksack hängend) wurden eingestellt (und wir bemerkten, dass Max eine Vorliebe für ziemlich kurz eingestellte Wanderstöcke hatte 🙂 ) und die Rucksäcke geschultert.
Und dann … ja, dann ging es los. Und wir prägten einen Satz, den wir bis zum Ende des Treks sehr, sehr oft wiederholen würden: „It’s really happening!“
Nach fast 8 Monaten Planung ging es wirklich los. Wir waren hier – am Fuße des Kilimandscharos, mitten in Tanzania, in Afrika! Eine Vorstellung, die ich bis jetzt noch immer nicht so ganz verarbeitet habe.
Wir plauderten unseren Weg durch den dichtbewachsenen Regenwald – nicht nur mit den anderen Teamkameraden, sondern auch mit den Guides. Und wir bemerkten schnell, dass wir echte Experten an unserer Seite hatten. Das Tempo, das sie anschlugen, wirkte am Anfang fast schon lächerlich langsam – aber es dauerte nicht lange, bis wir bemerkten, dass es so genau richtig war. Auch die (zum Teil recht steilen) Anstiege waren so gar kein Problem … auch, wenn ich vermutlich nicht die Einzige war, die ab und an ins Schnaufen kam.
Wir lernten zudem noch ein wenig Swahili – nicht viel, aber genug, um ein rudimentäres Gespräch in Gang zu bekommen.
Hier ein paar Kostproben:
- ahsante sana! – Thank you very much!
- tafadhali – Please
- jambo – Hello (und das hörte man wirklich ständig, sobald man von portern überholt wurde 🙂 )
- maji moto – hot water (ich bin mir nicht sicher, ob es so geschrieben wird, nach einer kurzen Google-Suche könnte es aber so sein)
- hakuna matata – no worries (ein anderer Satz, den man wirklich oft zu hören bekam)
Wir bekamen auf unserer dreistündigen Wanderung tatsächlich auch die ein oder andere Fauna zu sehen, unter anderem Affen (die eher wie fette Katzen aussahen). Aber ansonsten hielt sich das Wildleben eher bedeckt. Und das, obwohl man auf jedem Bericht über die Lemosho-Route lesen kann, dass die Chancen gut stehen auf Elefanten oder Büffel zu treffen. Schade!
Was wir aber mehr als genug zu sehen bekamen war Regen und so konnten diejenigen von uns, die einen Regenschutz hatten, diesen zum ersten Mal testen. Und hier kochte auch der erste Neid auf Wills großartige Regenjacke auf. Leider hab ich die Marke schon wieder vergessen… aber er war praktisch der Einzige, der wirklich knochentrocken blieb.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir dann unser erstes Camp, das sogenannte Big Tree Camp (oder auch Mti Kumbwa Camp) auf 2780 m. Wir hatten zehn Minuten, um uns in unseren Zelten häuslich einzurichten – eine Prozedur, die sich von nun an an jedem Abend wiederholen sollte. Im Endeffekt hieß dies erstmal checken, ob die vom Veranstalter bereitgestellten Matten trocken waren (oft waren diese zumindest stellenweise doch recht feucht dank Regen), dann die selbstmitgebrachte Isomatte ausrollen oder aufpumpen, den Schlafsack ausrollen, umziehen (Regenhose und -jacke aus, evtl. ein paar Lagen Kleidung an- oder abziehen und in bequemere Schuhe schlüpfen – Chirurgenwelpe und ich hatten uns extra Crocs mitgebracht, eine Überlegung, die uns unsere leidgeplagten Füße doch sehr dankten), die Taschen verstauen, den Kulturbeutel aufhängen … alles so Kleinigkeiten, um sich im Zelt etwas heimischer zu fühlen.
Nachdem dies erledigt war (und wir unsere nassen Regenjacken im mess tent aufgehängt hatten) trafen wir uns zu einer geselligen Runde Popcorn, Tee und Africafe (bester Wortwitz aller Zeiten). Und es war wirklich unglaublich, wie fix unser Team war – jedes Mal standen sämtliche Zelte, wenn wir in die Camps kamen, heißes Wasser war parat und Popcorn wartete auch jedes Mal. Ahsante sana!!
Kaum hatten wir die letzten Krümelchen Popcorn verspeist (yummy!), gab es schließlich auch schon Abendessen. Zur Vorspeise gab es cucumber soup, zum Hauptgang Spaghetti und als Nachtisch Bananen. Wenig später wären alle satt, zufrieden und müde. Wir hingen noch ein wenig zusammen herum, plauderten und checkten unsere gesundheitliche Lage.
Eigentlich ging es allen gut, außer Zoe, die ein wenig Kopfschmerzen hatte. Chirurgenwelpe fror dezent, wollte aber nicht aufstehen, um sich noch eine Jacke zu holen. Woraufhin Max uns eine kleine, aber nett gemeinte Standpauke hielt, dass das Einzige, was er auf dem Trek nicht hören mag, die Worte „I can’t be bothered“ waren. (Spoiler: Er benutzte es trotzdem auch manchmal! 😉 ) Woraufhin sich Chirurgenwelpe ihre Jacke holte. Danke Papa Max! 🙂
Für einen Tipp vom Vorbereitungswochenende in Sheffiel bin ich bis heute noch dankbar. Und der hieß: Füllt euch am Abend heißes Wasser in eure Nalgeneflaschen, dann könnt ihr die a) in der Nacht als Wärmflasche verwenden und b) am nächsten Tag gleich kühles Wasser trinken. So machten wir das jeden Abend und es rettete meine Füße und meinen Schlaf.
Es dauerte nicht allzulange, bis wir unser Bett rufen hörten und so machten wir uns an die abendliche zu-Bett-geh-Zeremonie. Im Endeffekt bestand die aus einem geselligen Zähneputzen (es gab nicht so viele Orte, an denen dies möglich war und so traf man sich unweigerlich), einer kurzen „Dusche“ mit Feuchttüchern im Zelt, einem prophylaktischen Gang zum Toilettenzelt (wenn man 4 – 5 l Flüssigkeit am Tag trank war dies auch nicht sonderlich verwunderlich) und dann dem einkuscheln im Schlafsack.
Beim Zähneputzen bemerkte Tara jedoch, dass sie offenbar ihre Zahnbürste im Hotel zurückgelassen hatte. Ein wenig Panik machte sich breit, doch das Brainstorming, wie man dies lösen konnte, verschoben wir auf den nächsten Tag. Musste solange eben ein Finger und etwas Zahnpasta reichen.
Der erste Abend im Schlafsack und im Zelt war ungewohnt. Es war laut im Camp (und das, obwohl nur 3 oder 4 andere Gruppen da waren), es war ungewohnt und irgendwie hatte ich auch ein wenig Angst, dass der Affe (der im Big Tree Camp hausen sollte) meine Schuhe klaute. Was er nicht tat. Aber trotzdem.
Irgendwann schlief ich dann doch ein. Chirurgenwelpe neben mir kannte solche Probleme offenbar nicht – die war nämlich schon nach wenigen Minuten weggeratzt.